Zur Zukunft der urbanen Mobilität

Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit war ich gestern in der nordischen Botschaft (hier der damalige Bericht zur Ausstellung). Diesmal gab es eine sehr spannend besetzte Podiumsdiskussion zu urbaner Mobilität. Es diskutierten Michael Cramer (MdEP Grüne), Burkhard Horn (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin), Michael Colville-Andersen (Copenhagenize Consulting), Frits Bredal (Dänischer Fahrradverband), Tina Saaby (Stadtarchitektin Kopenhagen) und Niels Tørslev (Leiter Verkehrszentrum Kopenhagen).

Großes Interesse

Statt sie live zu sehen, mussten viele Leute (inklusive mir) im Erdgeschoss sitzen und die Diskussion auf der Leinwand verfolgen – die Veranstaltung war voll.  Das Thema Radverkehr bewegt offenbar derzeit trotz Eisesskälte.

Berlin vs. Kopenhagen

Ein wesentlicher Punkt war der Vergleich zwischen Berlin und Kopenhagen und die Frage, ob Berlin einen ähnlichen Radanteil erreichen könnte. Was dafür spricht, sei laut Tina Saaby das große Platzangebot im Berliner Straßenraum und der jetzt schon ganz gute Anteil des Radverkehrs. Die in Deutschland bedeutendere Autoindustrie sei im Vergleich zu Dänemark zwar ein Hemmschuh, Michael Colville-Andersen von Copenhagenize Consulting betonte aber, dass Japan ebenfalls einen sehr hohen Radanteil habe, und dort würden ja auch „ein paar Autos gebaut“. In Japan dürfen man seine Kinder mit dem Auto nicht näher als 300m an eine Schule oder einem Kindergarten heranbringen. Das berühmte „Elterntaxi“  werde dadurch unattraktiver – das Fahrrad müsste schlicht zum schnellsten Mittel der Fortbewegung gemacht werden. Auch in Paris habe das mit Velib ganz gut funktioniert. Burkhard Horn stellte fest, dass die Entwicklung des Radverkehrs in Berlin seit 2000 durchaus positiv sei und dass gerade junge Menschen zwischen 18 und 24 Jahren umdenken. Die Autonutzung sei bei dieser Gruppe um ein Drittel gesunken.

Michael Cramer stellte heraus, dass 90% der Berliner 5 Radminuten von einer Haltestelle des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) entfernt wohnten und dass die Mitnahme-Möglichkeit für Rader im ÖPNV sehr gute Voraussetzung schaffe, die durch Tempo30 als Regelgeschwindigkeit erweitert werden sollten. Gleichzeitig beschwerte es sich über die Deutschen Bahn AG (DB) und die Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG), die viel zu wenig Rad-Abstellanlagen an Bahnhöfen und Haltestellen bauten. Gerade bei neuen Anlagen wie dem Bahnhof Südkreuz und dem Berliner Hauptbahnhof gäbe es viel zu viele Pkw Stellplätze und kaum Radabstellanlagen. Am U-Bahnhof Rathaus Steglitz sei ein ganzer Bahnsteig frei, der problemlos für Räder genutzt werden könne.

Eins, zwei, los gehts...Michael Colville-Andersen und Michael Cramer auf dem Podium; Foto: Michael Stoss

Infrastruktur

Die Wichtigkeit der Rad-Infrastruktur wurde natürlich von allen Teilnehmern als hoch eingeschätzt – auch am Arbeitsplatz seien Abstellanlagen zentral. Der Bau von Radschnellwegen sei ebenso wichtig wie Frits Bredal vom Dänischen Fahrradverband betonte. Burkhard Horn führte an, dass in Berlin bei Neubauten keine Pkw-Stellplätze mehr notwendig sein und dass stattdessen Rad-Abstellanlagen obligatorisch sind (die Regelung habe freilich einige Schlupflöcher, räumte er ein). Ein Kreuzberger aus dem Publikum berichtete, dass in Kreuzberg gerade versucht würde, einige Pkw Parkplätze für Lastenräder  zu reservieren. Ergebnis noch offen.

Lastenräder

Apropos Lastenräder in Kopenhagen sind davon 40.000 unterwegs und auch in Berlin werden es immer mehr (gestern habe ich die E-Lastenradschmiede Uma Zooma kennengelernt. Es wird Zeit für ein E-Lastenrad-Special hier im e-Rad Hafen). Cramer erwähnte den häufigen Einsatz von Lastenrädern bei der Post AG in Berlin (auch bei der PIN AG), leider würde dieser Einsatz öffentlich kaum bemerkt.

Öffentlichkeitsarbeit

Die Bedeutung der öffentlichen Wahrnehmung war im Übrigen ein weiterer Baustein den das gesamte Podium als sehr wichtig einschätzte: Öffentliche Kampagnen wie bspw. in München die Radlhauptsatdt würden teils mit großen Budgets arbeiten und gute Erfolge erreichen, ebenso sinnvoll seien aber kleinere auffällige Aktionen die es ohne großes Budget in die Medien brächten. Aktionen wie der Deutsche Fahrradpreis oder Wettbewerbe wie die Auszeichnung des Fahrrad freundlichsten Arbeitgebers wurden von Horn als positiv Beispiele in diesem Bereich genannt.

Fazit und die spannendste Information des Abends

Ganz kurz gefasst: Berlin hat nach Einschätzung des ganzen Podiums das Potential, Radanteile in der Größenordnung von Kopenhagen zu erreichen. Es ist eine Frage des politischen Willens. Der richtige Weg sei ja auch schon beschritten. Allerdings stellte sich mir nach der Veranstaltung mal wieder die Frage, wie man in Berlin mit etwa einem Zehntel des Geldes Kopenhagen nachahmen will (knapp 2€ pro Jahr und Bewohner für Radverkehr in Berlin)….

Das fragte ich dann auch Burkhard Horn. Horn erklärte dazu, dass die Pläne den Rad-Haushalt bis 2015 deutlich zu erhöhen (so viel ich weiß von 5 auf 17 Millionen, was dann knapp 6€ pro Kopf und Jahr wären) bis zur Senatswahl auf gutem Wege waren und man jetzt sehen müsse, wie es weiter geht. Ein Planer vom Tiefbauamt Mitte, der gerade daneben stand ergänzte, dass es neben Mitteln auch an Personal mangele, Projekte im Fahrradbereich umzusetzen.

Diese Information überrascht zwar nicht unbedingt, sie ist aber ungemein wichtig. Denn natürlich sind Mittel für Radverkehr die Voraussetzung für mehr Radverkehr, es muss aber auch in der Verwaltung Personal beschafft werden, das Willens und in der Lage ist, Radverkehrsprojekte umzusetzen. Eine Strategie für die Entwicklung des bestehenden Personals ist ebenso nötig.  Das sollte an sich selbstverständlich sein. In jedem Bezirk muss ein Plan existieren, Projekte im Radbereich und der nachhaltigen Verkehrsentwicklung zu erstellen und umzusetzen, schließlich ist Verkehrsplanung eine der wichtigsten Aufgaben der Bezirke. Eine Forderung in diese Richtung wurde unlängst in einem Memorandum zur EU Fahrradpolitik gestellt: Gemeinden ab 100.000 Bewohnern sollen obligatorisch einen Sustainable Urban Mobility Plan – SUMP vorweisen, wenn sie EU Gelder wollen, mehr dazu hier.

In Kopenhagen ist man da weiter: Dort sind allein 44 städtische Angestellte für die Räumung von Radwegen bei Schnee beschäftigt! Mal sehen, wie gut die Radwege heute morgen in Berlin aussehen…

 

Ein Gespür für Schnee

Im Roman, dessen Titel hier entlehnt wird, beweisen die Dänen wenig Gespür für den Umgang mit den in Dänemark lebenden Ureinwohnern Grönlands (gemeint ist der Roman „Fräulein Smillas Gespür für Schnee). Deutlich mehr Gespür haben sie für den Umgang mit den Kopenhagener Radfahrenden. Im Nachgang zur letzten Wochen gibt es die Woche noch ein paar mehr Infos dazu. Vielleicht das wichtigste am Anfang: Die Dänen sehen Radpolitik als Teil vernünftiger öffentlicher Finanzpolitik. Denn jeder gefahrene Kilometer spart Kosten für den Erhalt von Verkehrsinfrastruktur. Radwege sind erheblich billiger, als Straßen und Parkplätze für Pkw oder auch Schieneninfrastruktur. Dazu kommen weniger Krankentage von Radfahrenden, sowie geringere Unfallkosten. Allein diese positiven Auswirkungen auf das Budget des Gesundheitssystems beziffert das Verkehrsministerium pro gefahrenen Kilometer auf 1,22 Dänischen Kronen (etwa 0,16€). Im Vergleich: Jeder Autokilometer bedeutet einen Nettoverlust von 0,69 Dänischen Kronen (etwa 9€ Ct.).

Winterdienst zuerst auf Radwegen

Was das Klima betrifft ist Kopenhagen nicht unbedingt das, was man unter einer Traumstadt für den Radverkehr verstehen würde, 2010/11 lag von November bis März Schnee. Will man erreichen, dass dennoch möglichst viele Menschen mit dem Rad zur Arbeit fahren, kommt dem Winterdienst eine zentrale Bedeutung zu. Diese Tatsache wird ernst genommen: „Wir priorisieren im Winter die Räumung der Radwege vor den Autostraßen“, sagt Andreas Rohl, Chef des Kopenhagener Fahrrad Programms in einem Bericht der Fachzeitschrift „cycling mobility“ (Heft Dez. 2011)und führt fort „Radfahren spart der Stadt Geld, dass sie in andere Dinge investieren kann.“

Wieso klappt das?

2010 fuhren in Kopenhagen 35% der Menschen mit dem Rad zur Arbeit, trotz des harten Winters und trotz 14,5km durchschnittlichem Pendelweg (in Deutschland pendeln 8% mit dem Rad). Der Winterdienst hat offenbar zuverlässig funktioniert. Das ist kein Zufall, in Kopenhagen arbeiten 44 Angestellte nur in der Fahrradweg-Räumung. Aktiv sind sie von 17.10 bis 23.4. Sie verfügen über 22 Traktoren mit Schaufelsystemen und Streugut. Das Budget für Radweg-Räumung liegt bei 833,000€ und wird 2011 auf 1,1 Mio.€ erhöht. Klappt das Räumen mal nicht, beschweren sich Radler öffentlichkeitswirksam wirksam per Facebook oder ähnlichen Online-Foren, sagt Andreas Rohl.

Von solchen Verhältnissen kann man hierzulande nur träumen, wer die letzten beiden Winter in Berlin geradelt ist, weiß, dass Radwege in der Regel gar nicht geräumt wurden, manchmal wurde dagegen der Schnee von der (Pkw)-Fahrbahn auf den Radweg getürmt. Schade, dass ich davon keine Fotos habe, aber es war in seiner Absurdität schon fast  komisch. Auf dem Blog „Hamburgize“ gibt es eine Reihe Bilder des vergleichbaren Elends aus Hamburg. Zumindest in Berlin mühen sich übrigens diverse hervorragende Fachleute, um eine Besserung der Radpolitik, leicht haben sie es offenbar nicht.

Nun, der aktuelle Winter hat noch keine große Herausforderung gebracht, mal sehen was passiert wenn es doch noch mal richtig kalt wird…

Übrigens, das DMI (Danmarks Meteorologiske Institut) hat über den Verlauf eines Jahres gemessen, dass dass man auf einem durchschnittlich langen Arbeitsweg mit dem Rad in Kopenhagen nur eine 3,5% hohe Wahrscheinlichkeit hat, nass zu werden (bei etwa 17 von 500 Fahrten zur Arbeit). Ob die eifrigen Radfreunde auch am Wetter rumbasteln?