Zum ADAC – Skandale überfahren Bequemlichkeit

Der ADAC ist überzeugter Autolobbyist, einer der die Welt durch die sprichwörtliche Windschutzscheibe sieht. Einer der in Zeiten, in denen klar ist, der Autoverkehr muss abnehmen, unbeirrt weiter für absurde Autobahnausbauten, etwa für die A100 in Berlin eintritt. Fahrräder werden als unvermeidlicher Trend wohl oder übel auch thematisiert – aber doch eher für die Freizeitnutzung. Und entgegen der Faktenlage empfiehlt man für mehr Sicherheit statt Tempo30 doch lieber  Helme auf dem Fahrrad und basht E-Räder im Test mit der Stiftung Warentest.

Bequemlichkeit besiegt Gewissen

Trotzdem, dieser Laden genoss über Dekaden höchste Glaubwürdigkeit unter den Deutschen. 19 Millionen Mitglieder aus allen Gesellschaftsschichten und politischen Lagern, die größte Mitgliedsorganisation Europas. Ein Verein der laut Wikipedia jährlich Millarden Umsätze macht und dessen Transparenz schon lange in Frage steht (Vgl. bspw. Manager-Magazin 2004). Jaja, „ich find die Politik von denen ja auch nicht so gut“ und „ein bisschen unheimlich ist dieses Imperium„,. Trotzdem Gründe, darüber hinwegzusehen gab’s immer genug: „Der Service ist ja so toll und das ist so praktisch mit der Kreditkarte“ und „…als ich damals mit meinem Käfer in Kroatien liegenblieb, haben die so toll geholfen“. Dabei kann man Schutzbriefe auch bei umweltbewussten Verkehrsclubs oder Kfz-Versicherungen abschließen… ohne Intransparenz und Beton-Lobby. Macht aber nicht mal 1% der Menschen. Millionen Beweise, dass Bequemlichkeit ganz locker über Wissen und Gewissen siegt.

Skandale überwinden Bequemlichkeit

Was aber ist noch wirksamer als Bequemlichkeit? Zumindest kurzfristig: Empörung über Skandale! Und genau das, leider nicht die falsche Politik, fliegt dem ADAC jetzt um die Ohren. Da werden erst gefälschte Statistiken aufgedeckt, dann ein bisschen Korruption hier, unlauterer Wettbewerb dort usw. usf. Und schon ist es ein Flächenbrand, es knallt gewaltig. Es erinnert ein bisschen an die Empörungswelle wegen des Missbrauchs in der Katholischen Kirche, des CDU Spendenskandals, wegen Ackermann und der Deutschen Bank oder der schrecklichen Videos aus NATO Gefängnissen im Irak Krieg.

Naivität gegenüber Machtkonzentration

Dabei ist dieser Schmuddel wenig überraschend; wo Macht und Einfluss sich mit (unbegründeten) Vertrauen und wenig Kontrolle oder Transparenz paaren gibt es eigentlich immer krassen Missbrauch. Ohne die Auswirkungen der Skandale vergleichen zu wollen: Zeigt die immer neue Empörung nicht die Naivität der Menschen gegenüber mächtigen Institutionen? Solche, deren Struktur keiner richtig durchschaut, die man auch nicht unbedingt mag, die aber vermeintlich irgendwie doch seriös sind? Mehr Beispiele? Die große Versicherung der alle trauen, weil schon Opa bei denen war? Der Stromgigant der zwar AKWs betreibt, aber der halt so zuverlässig ist? Der globale Lebensmittelkonzern dessen Müsli immer an früher erinnert?

Der nächste Skandal kommt bestimmt, trotzdem reicht die Empörung nur um die Symptome, nicht aber die Struktur in den Blick zu bekommen: Zu viel Macht und Geld ist gefährlich und in Puncto demokratische Kontrolle und Transparenz ist es im neoliberalen Westen in aller Regel nicht weit her.

Zurück zum ADAC

Tja, noch brodelt die Seele der Menschen, Millionen wollen austreten, täglich gibt es neue Enthüllungen , der Skandal ist auf dem Höhepunkt. Der ADAC wackelt und hat Angst – doch wird sich wirklich etwas ändern? Hat sich die CDU geändert? Die Gesetze zur Parteienfinanzierung? Hat sich die Kontrolle des NATO Militärs geändert? Hat die Katholische Kirche sich geändert? Sind Banken heute moralisch integer? Ich würde sagen, eher nein. Wenig hat sich auch die Naivität gegenüber dieser Art von Akteuren geändert, es gibt auch keine Debatte über das Risiko, das solche unkontrollierten Megastrukturen bedeuten – denn„irgendwie brauchen wir sie ja doch, die Banken, Großkonzerne, Parteien und ADACs…“. Und das weiß man wahrscheinlich auch beim ADAC. Da heißt es: Bauernopfer bringen, Besserung geloben und aussitzen. In maximal zwei Wochen ist das Thema durch, der ADAC wird bis auf ein paar Narben so sein, wie zuvor. Dann wird man sehen, wie viele Menschen ganz ausgetreten sind oder bei einem kleineren Verein die gleichen Services bekommen. Und ob es hierzulande irgendwann mal eine breite Debatte über Geld, Macht, Vertrauen und Kontrolle gibt.

Nachtrag

Der Skandal scheint deutlich länger zu halten und der ADAC wird in seinen Grundfesten erschüttert, in den Medien, etwa der Süddeutschen Zeitung werden weiter viele wichtige Kritikpunkte am ADAC vorgebracht – von schlechter Behandllung der Mitarbeitenden, Profitgier bis hin zu Manipulationen praktisch aller Tests, alles ist dabei.

Dennoch gewinnt der ADAC weiter Mitglieder, die Kündigungen halten sich in engen Grenzen: Auch wenn wegen der Kündigungsfristen sicher noch viele nachkommen werden, sind es im Januar gerade 15.000 gewesen (Meldung des ADAC).

Praktisch werden

Wer jetzt spontan was tun will:

–          hier geht es bequem per Mail raus aus dem ADAC

Und wer dennoch einen Verkehrsclub will, dem sei der VCD empfohlen, der ist schön klein hat Schutzbriefe und weder viel Macht noch viel Geld. Und ja, der Autor arbeitet da, das mache ich hier besser mal transparent!

Mehr e-Rad Hafen zu Verkehrspolititk

 

 

Sind E-Räder gefährlich?

Artikel-Update 10/2014

Der GDV (Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft) stellt in einer (kleinen) Studie fest, dass E-Räder nicht gefährlicher sind, als normale Fahrräder:

„Der Vergleich von Fahrrädern und Elektrofahrrädern zeigte, dass Elektrofahrräder per se keinem erhöhten oder anders gelagertem Sicherheitsrisiko als Fahrräder unterliegen. Die potenziell höheren Geschwindigkeiten werden vor allem von S-Pedelec-Fahrern realisiert, während für Pedelec Fahrer der erhöhte Komfort im Mittelpunkt steht.“

Damit relativiert sich auch der etwas reißerische Aufmacher den GDV und ADAC 2011 lancierten (siehe folgender Artikel), Stand heute gibt es keine Belege, dass E-Räder ein erhöhtes Risiko im Verkehr bedeuten, weder für die Nutzenden noch für andere Verkehrsteilnhemende.

Originalartikel:

Man könnte meinen ja, sehr! In den letzten Wochen häufen sich jedenfalls derartige Einschätzungen und wir wollen uns hier mal ein paar Argumente dafür anschauen. So sieht der ADAC die wachsende Begeisterung für Pedelecs zwiespältig „Da kommt nun eine ganz andere Schicht von Menschen auf die Radwege“, wird Maximilian Maurer in einem sehr guten Zeit-Artikel zu Elektrofahrrädern zitiert. Weiter stellt der ADAC in dem Artikel fest:

Autofahrer seien nicht darauf eingestellt, Radfahrern zu begegnen, die Geschwindigkeiten erreichen und halten können, die ihnen bislang keiner zugetraut hätte. „Ob sich das zu einem Massenproblem entwickelt, muss man abwarten“, so Maurer. Bis zu Forderungen nach Führerschein oder Geschwindigkeitsbegrenzungen müssen man erst die Unfallzahlen abwarten.

In ein ähnliches Horn stößt Daniel Hautmann von der Süddeutschen Zeitung in einem Bericht über einen Crash Test mit E-Rädern den der GDV (Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft) im April durchführte. In seinem Artikel „Pfeilschnell ins Verderben“ wird messerscharf festgestellt:

Mit einem Pedelec sind 80-Kilometer-Ausfahrten kein Problem. „Werden mehr Kilometer gefahren, gibt es mehr Unfälle“.

Weiter beschreibt Hautmann bildreich und in nicht gerade sachlichem Ton die Folgen eines simulierten Dummy-Unfalls mit 44km/h seitlich gegen ein stehendes Auto:

Ungebremst kracht der Radler in die Seite des Wagens. Glas splittert, Blech verbeult, Knochen brechen. Zuerst prallen seine Knie gegen die Tür, Sekundenbruchteile später klatscht sein Brustkorb gegen die Kante des Dachs. Schließlich schlägt der Radler mit dem Kopf auf der Frontscheibe auf und bleibt liegen.

Soso, liegen bleiben tut der Crashtest-Dummy also. Man könnte erwidern: „Etwas anderes hätte von einer Puppe auch sehr überrascht.“ Aber wir wollten ja die Argumente anschauen…

Also, kurz zusammen gefasst, Pedelecs/E-Räder sind gefährliclh weil:

  1. neue Schichten von Menschen aufs Rad kommen, die vorher nicht Rad fuhren (ADAC)
  2. man bei einem Aufprall auf einem Auto bei über 40km/h mit einem E-Rad schwere Verletzungen von sich trägt (GDV, Süddeutsche Zeitung)
  3. man mit dem E-Rad leicht längere Strecken fahren kann als mit einem normalen Fahrrad (ADAC)
  4. Autofahrer Schwierigkeiten haben, die Geschwindigkeiten der Radler richtig einzuschätzen (ADAC)

Der GDV fordert demzufolge für Pedelecs neue Versicherungspflichten und wir gehen mal die Argumente durch.

Argument Nummer 1: neue Menschen die aufs Rad kommen. Nun, wir sollten hoffen, dass E-Räder neue Leute aufs Zweirad bringen, statt mit dem Auto zu fahren. Klima, Lärm, Flächenverbrauch und Unfallstatistiken von Pkw sind Grund genug.  Der eine oder die andere unsichere Radler_in mag dabei sein. Trotzdem: Weniger Autos und mehr E-Räder werden den Verkehr insgesamt weniger gefährlich machen.

Argument Nummer 2: Bei über 40km/h ist das Risiko sich schwer zu verletzen tatsächlich hoch. Ein Helm kann helfen, aber es ist eine Tatsache, dass diese Geschwindigkeiten gefährlich sind. Das zeigen Unfallstatistiken von Motorrädern und Pkw eindrücklich. Nur: über 95% der E-Räder unterstützen bis maximal 25km/h, eine Geschwindigkeit, die ein normaler Radler gut erreichen kann. Schnelle E-Räder bis maximal 45km/h sind die Ausnahme und für sie gilt bereits Versicherungspflicht(!).

Argument Nummer 3: Sachlich richtig. Wenn der ADAC das schon sagt, wäre es konsequent auch zu erwähnen, dass das auch für Autobahnen ohne Geschwindigkeitsbegrenzungen gilt. Es können größere Strecken zurück gelegt werden. Dadurch steigt das Unfallrisiko. Am besten wäre dann, die Kilometerleistung eines jeden zu minimieren: Alle Menschen gehen zu Fuß oder bleiben zu Hause. Warum eigentlich nicht?

Argument Nummer 4: Wie gesagt, über 95% der E-Räder fahren nicht schneller, als reguläre Räder. Wir im Hafen sind außerdem sicher, Autofahrer können sich auch an etwas schnellere Räder gewöhnen. Vor allem, wenn dafür weniger Autos in der Schlange an der Ampel warten.

FAZIT: Argumente 1 und 3 sind derart banal, dass es überrascht, dass sie von einem renommierten ADACler bzw. einer großen Tageszeitung stammen. Nummer 2 und 4 benennen dagegen das Problem hoher Geschwindigkeiten, dass wenn überhaupt auf unter 5% der Elektrofahrräder (die so genannten S-Pedelecs) zu trifft. Allerdings stimmt es ohne Zweifel, dass Entschleunigen des Verkehrs Sicherheit bringt. Interessant ist, dass der GDV  eine Versicherungspflicht für Räder fordert, für die bereits eine besteht.

Es ist also eine Diskussion mit ziemlich leeren Argumenten und man wird den Eindruck nicht los, dass sie bewusst angefacht wurde. Angefacht von einer Koalition aus Autolobby, Versicherungsindustrie und Sensations hungrigen Journalisten, die Angst haben vor einem „Massentrend Elektrofahrräder“.

Ziel der ersten beiden*: Elektroradfahren und auch Radfahren allgemein soll gefährlich wirken. Denn was als gefährlich gilt, wird von der breiten Bevölkerung nicht angenommen. Und bei allem Respekt für die Öffnung des ADAC in Richtung Radverkehr: Der ADAC will nicht, dass massenweise Menschen radeln, statt Auto zu fahren. Und auch der GDV wird mit Autoversicherungen mehr Geld verdienen, als er jemals mit Versicherungen für (E)-Räder verdienen kann.

In diesem Sinne erinnert die Diskussion sehr an die, die ich im Hafen bzgl. der Helmfrage vor einigen Wochen dargestellt habe. Übrigens was man als einzelne_r für die eigene Sicherheit beim Elektrofahrrad fahren tun, kann habe ich hier schon mal zusammen gefasst.

* Warum Journalisten so schlechte Argumentationen unkommentiert übernehmen, weiß ich nicht, es ist aber eine spannende Frage.

 

Warum der ADAC Helme für Autofahrer fordern sollte

6/2013 AKTUELL: Einen Beitrag zum OLG Urteil gibt es hier

Gerade gestern habe ich einem Forumsbeitrag bei Pedelec-Forum.de gelesen, wie wichtig es ist einen Helm beim E-Fahrrad fahren zu tragen und dass das unbedingt zu empfehlen sei (hier)… Es stimmt, ein Helm kann schlimme Kopfverletzungen vermeiden und jede schwere Kopfverletzung ist eine zu viel. Deshalb sollte jeder und jede einen Helm tragen, der das gerne möchte und sich damit sicherer fühlt.

Die Hannelore Kohl Stiftung (HKS) setzt sich anknüpfend daran seit Jahren für eine Helmpflicht für Fahrradfahrer ein. Die HKS befasst sich nämlich mit Schäden des Zentralen Nervensystems (ZNS) hervorgerufen durch Unfälle. Auch der ADAC empfiehlt Fahrradhelme immer wieder (bspw. ADAC Publikation Zur Sache: Helmpflicht für Radfahrer).

Den Anteil der Fahrradfahrer (incl. Fußgänger) an den Unfallopfern mit Hirnverletzungen gibt die HKS mit 1% an, 26% entfallen auf Pkw. Das steht im HKS Jahresbericht 2004, Seite 15, Download hier (@Antoine – danke für die Zusendung des Berichts):

Schädigungsursachen, schwere Kopfverletzungen nach HKS 2004, S.15

Natürlich: Pkw haben in Deutschland eine wesentlich höhere Kilometer-Leistung, als Fußgänger und Fahrrad zusammen. Wie hoch, kann man herausfinden, wenn man sich die Studie Mobilität in Deutschland (MiD) anschaut- für das Jahr 2002 gibt sie an, dass insgesamt 57% der Personenkilometer mit dem Auto zurückgelegt werden, 6% entfallen auf Radfahrerinnen und Fußgänger, also knapp ein Verhältnis von etwa 10:1.

So, und nun etwas Mathematik: Wenn 26 mal mehr schwere Kopfverletzungen im Auto passieren und Pkw zehn mal mehr Kilometerleistung leisten. Was ist dann gefährlicher: Ein Kilometer Autofahren oder ein Kilometer Radfahren bzw. laufen?

Es ist pro gefahrenen Kilometer 2,6 mal wahrscheinlicher im Auto eine schwere Kopfverletzungen zu erleiden!

Selbst wenn man annimmt, dass alle schweren Kopfverletzungen auf die 3% Radfahren entfallen und kein einziger Fußgänger eine solche Verletzung erleidet (was definitiv nicht der Fall ist), dann ist die Wahrscheinlichkeit im Auto immer noch 1,3 mal höher.

Ich frage mich an der Stelle wirklich, warum der ADAC sich nicht um seine Stammklientel, die Autofahrer kümmert und Helme im Auto empfiehlt und warum die HKS wider ihrer eigenen Erkenntnisse so einseitig auf das Risiko von schwere Kopfverletzungen beim Radfahren abhebt…

Update 10/2014: Clevere Städte hat nach gerechnet und die These dieses Beitrags mit neueren Zahlen bestätigt: Hier geht’s zum Beitrag.

Mehr dazu

p.s.: In den neueren Jahresberichten der HKS findet sich die Statistik der Anteile Hirnverletzungen nach Verkehrsmittel nicht mehr, deshalb die alten Zahlen. Die Frage warum die HKS diese Statistik nicht mehr veröffentlicht muss man sich selbst beantworten.