Für eine ganz andere (e)-Fahrradpolitik!

Wie vor ein paar Tagen berichtet, könnte in der EU ein erheblicher Anteil (12-26%) der Klimaziele im Transportbereich erreicht werden, wenn alle so viel (e)-Radfahren würden, wie die Dänen. Das heißt in etwa 1000km pro Jahr. Für Deutschland wäre das eine Verdreifachung (der Bericht steht hier). Was heißt das konkret?

Wie viel (e)-Radverkehr ist möglich?

Wege bis 10km können problemlos mit dem (e)-Rad gemacht werden, das dauert etwa eine halbe Stunde und ist damit meist schneller als alle anderen Verkehrsmittel. 10 km bedeutet, dass etwa 50% der Pendelwege mit dem (e)-Rad gemacht werden könnten (es sind derzeit nur 8%, siehe Bericht hier). Laut der Studie Mobilität in Deutschland 2008 (MiD 2008) ist ein Weg in Deutschland im Schnitt knapp 12km lang. Das Umweltbundesamt hat festgestellt, dass über die Hälfte aller Fahrten mit dem Auto nach weniger als 5km enden. Mann kann also davon ausgehen, dass mindestens die Hälfte der Wege in Deutschland mit dem (e)-Rad gemacht werden könnten. Das Fahrrad hat aber nur 10% Anteil an den Wegen (und 3% an der Kilometerleistung).

Eine Verdreifachung ist daher, was die Zahl der Wege und die Kilometerleistung betrifft, durchaus denkbar. Also warum nur ein paar Prozent Radverkehrsanteils-Steigerung anpeilen? Warum nicht 40% der Wege und sagen wir 12% der Kilometerleistung? Das wäre mal ein ehrgeiziges Ziel und ehrgeizige Ziele sind im Verkehrsbereich anbetracht des Klimawandels absolut angebracht.

Die Zeit ist reif für das Ende der Auto-Normativität

Nicht nur der Klimawandel drängt hin zu einer Verkehrswende- weg vom Auto hin zu (e)-Rad, ÖPNV und Fußverkehr. Auch soziale Aspekte sprechen dafür. Immer weniger Haushalte haben ein Auto, viele können und wollen sich keines leisten. Auto fixierte Maßnahmen wie die „Abwrackprämie“ sind anachronistische Klientelpolitik mit dem Blick durch die Windschutzscheibe. Andererseits haben 82% der Haushalte ein (e)-Fahrrad (MiD 2008) und wer keins hat, kann sich in vielen Städten für wenig Geld eins leihen. Aufgrund der Verfügbarkeit und der Kosten sind (e)- Fahrräder also sozial weit weniger exklusiv und ermöglichen ein hohes Maß an Teilhabe.

(e)-Fahrradverkehr braucht Raum und Investitionen

Die Diskussion um Rüpel-Radler, die dieses Jahr pünktlich vor der IAA unter anderem vom Spiegel losgetreten wurde (hier mein Artikel dazu), hat neben viel Schaumschlägerei vor allem zwei Dinge klar gemacht:

  1. Mehr Leute wollen Fahrradfahren
  2. Es geht im Verkehr vor allem um Platz und um Investitionen

Was man tun kann

Laut ADFC-Fahrradmonitor erwarten 64% der Menschen von der Politik mehr Investitionen in Radwege. Das Ziel müsste sein, die Nutzung des Fahrrads spürbar zu erleichtern und Barrieren zur Nutzung abzubauen, wo immer es möglich ist. Dazu gibt es viele Möglichkeiten, von Kaufzuschüssen für Fahrräder bis zu Zweiradparkhäusern an allen Bahnhöfen. Es müsste laufend evaluiert werden, welche Maßnahmen die besten Effekte haben. Ein paar Ideen:

„Jederzeit-Verfügbarkeit“ kostenlose Veleihsysteme

Nach dem Vorbild vieler anderer Großstädte in Europa (bspw. Paris oder Ljubljana) sollte jede Stadt in Deutschland ein Fahrrad-Verleihsystem einführen, bei dem mindestens die erste halbe Stunde kostenlos ist. Ob Tourist oder Anwohner – so hätte jeder und jede immer ein Rad zur Hand.

Radwege Winterfest machen: Räumen und Überdachen

Wer die letzten beiden Jahre im Winter in Berlin geradelt ist, der weiß, wie gefährlich wochenlang vereiste und verschneite Radwege sind. Also: Im Winter konsequent Radwege räumen und überdachen! Denn mit Dach ist nicht nur das Thema Eis und Schnee erledigt, die Überdachung ist vor allem ein Regenschutz. Und mit der Regenanfälligkeit erledigt sich eines der wichtigsten Hemmnisse gegenüber dem Radfahren. (hier ein Bericht dazu wie das Räumen der Radwege in Kopenhagen funktioniert).

Mehr Radschnellwege und Fahrradstraßen

Weiter ist es für Radelnde jedes Mal enorm anstrengend und zeitraubend, nach Kreuzungen wieder auf die vorherige Geschwindigkeit zurück zu kommen. Kreuzungsfreie Radwege sind daher wünschenswert. Jede Stadt sollte Fahrradschnellwege testen, statt auf einen Testballon im Ruhrgebiet zu starren. Aber nicht nur Fahrradschnellwege: Fahrradstraßen, und großzügige Radstreifen am Fahrbahnrand sind weniger teuer und haben ebenfalls den Effekt, Radfahren schneller und sicherer zu machen (in Holland werden derzeit 675km Radschnellwege ausgebaut, pro Kopf wird im Vergleich zur BRD ein Vielfaches in Radverkehr investiert, 25€ pro Kopf im Jahr – hier mehr).

You get what you pay for

Natürlich kostet ein überdachter Radweg eine Menge Geld, vielleicht zwei Millionen Euro pro Kilometer. Auch kostenlose Verleihsysteme und Radschnellwege haben ihren Preis (allerdings werden letztere sowohl im Bau als auch im Erhalt deutlich unterhalb der Kosten für Autobahnen oder Bundesstraßen sein).

Für wirklich substantielle Verbesserungen für den Radverkehr wird es aber schnell um Beträge in Milliardenhöhe gehen. Eine Verkehrswende wird eben nicht ohne Umverteilen von viel Geld (und in den Städten auch Raum) funktionieren. Mit 2012 60 Millionen Euro Radbudget im Bundeshaushalt braucht man da gar nicht erst anfangen. Nicht mal ein Euro pro Bundesbürger und Jahr ist einfach „peanuts“ – ein schlechter Scherz!

Woher das Geld nehmen?

Wer die Investitionsrahmenplan des Bundesverkehrsministerium (BMVBS) ließt, stellt fest: In Deutschland werden durchaus Milliarden in Verkehrsinfrastruktur gesteckt, 41 Mrd. sind 2011 bis 2015 geplant (Pressemitteilung des BMVBS 15.12.11). Radverkehr spielt dabei aber kaum eine Rolle. Der aktuelle Bundesverkehrswegeplan für 2001-2015 umfasst 150 Mrd. Euro und enthält nach Informationen der Bürgerinitiative „Straßenbaumoratorium“ den Bau weiterer 1.900 km Autobahnen (Kosten: 15 Mrd. €), die Erweiterung von 2.200 km Autobahnen (13 Mrd. €) sowie den Aus- und Neubau von 5.500 km Bundesstraßen (19 Mrd. €) aus. Laut SPIEGEL werden derartige Ausbauten seit Jahren auf Basis von Prognosen, in denen der Autoverkehr vollkommen uberzogen wächst, durchgesetzt. Die A38 zwischen Göttingen und Halle kostete bspw. 1,3 Mrd. und wird nicht mal halb so viel benutzt, wie prognostiziert. Der in Berlin geplante Ausbau der A100 bedeutet sechs Kilometer Autobahn für 420 Millionen Euro. Dazu werden kaum frequentierte Bundesstraßen weiter ausgebaut (bspw. B178n, 220 Mio.) Auch Evaluierung findet nicht statt: Der SPIEGEL zitiert das BMVBS, es gäbe „keine betriebswirtschaftliche Evaluierung einzelner Neu- bzw. Ausbauabschnitte“.

Update: Eine Studie von 9/2013 der FH Erfurt zeigt beispielhaft für Thüringen, Ostseeautobahn und Region Weser/Ems, wie Kosten bei Autobahnausbauten gegenüber dem Plan stets steigen, während die Nutzung und die wirtschaftlichen Effekte geringer sind, als prognostiziert.

Nebenbei: Man könnte auch 0,6 Mrd. € durch 1 Ct. Erhöhung der Minerölsteuer erhalten (bei 60 Mio. Tonnen Verbrauch an Diesel und Otto Kraftrstoffverbrauch 2015). Damit könnten wie in Holland 25€ pro Kopf und Jahr in Radverkehr investiert werden. Das wäre doch mal was.

Fazit: Eine Frage des politischen Willens!

Das Geld ist also da, man muss es nur für die richtigen Projekte ausgeben. Ein vollständiges Moratorium für den Autobahn und Schnellstraßen Aus- und Neubau würde bspw. sofort Milliarden frei machen, um eine ehrgeizige Förderung des (e)-Radverkehrs einzuleiten (allein in Anbetracht sinkender Bevölkerungszahlen und eines insgesamt sehr dichten Straßennetzes in Deutschland wäre das Moratorium vernünftig). Aber auch schon der Stopp einiger Großprojekte könnte einige Milliarden frei machen. Bund und Länder könnten sich dann, statt im „Straßen betonieren“, darin überbieten, innovative Projekte und Maßnahmen zu entwickeln, wie man (e)-Radfahren erleichtern und fördern kann.

Soll doch mal irgendwer erklären, warum das nicht richtig ist und/oder nicht gehen soll!

5.00 avg. rating (95% score) - 4 votes

6 comments

  1. Auch in der Schweiz sind die Verhältnisse (ganz) anders, vor Allem, wie bekannt, was Ö- & SPNV angeht: Auch dort keine (nennenswerte) Autoindustrie! Integraler Taktfahrplan, Lärmschutz, Intermodalität… Die Hoffnung stirbt zuletzt?

  2. Bessere Argumente: stimmt.
    Ja und?
    Die Autobranche ist bei uns halt eine sakrosankte Schlüsselindustrie. Mit ca. 2000 EUR Subventionen pro Person pro Jahr – vom Säugling bis zum Greis – ist die Allgemeinheit zwangsweise dabei. Von den zigtausend Toten in der ärmeren Vierteln wegen Lärm und Abgas mal ganz zu schweigen.
    Klar KÖNNTE „man“ eine ökologische Verkehrspolitik machen, man KÖNNTE langlebige Produkte herstellen, man KÖNNTE eine Siedlungs- und Arbeitsmarktpolitik betreiben, die kurze Wege ermöglicht, etc.

    Dass die Verhältnisse in NL und auch in DK anders sind, liegt – neben der Topografie – vor allem daran, dass die Automobilindustrie dort nicht so relevant ist. Das spiegelt sich z.B. in DK auch in der Besteuerung wider.
    Zudem existieren in den skandinavischen Ländern immer noch Reste von gemeinwohlorientierter Politik.
    In diesem unseren Land der besserverdienenden Premium-Entscheider ist die MIV-Subventionierung quasi gesetzt. Man sehe sich die Verflechtungen von Industrie, Versicherungen, Banken, Medien, Politik an.
    Die ‚Eindämmung‘ des Radverkehrs auf 15% im NRVP ist da nur konsequent.
    Kurzum. die sogenannte Radverkehrsförderung wird solange kosmetisches Greenwashing bleiben, wie die gesellschaftlichen Verhältnisse um das goldene Kalb des Profits tanzen.
    Aber wer weiss: vielleicht steigt ja BMW bald in die e-bike Produktion ein. Dann gibt es endlich auch electric-freeways in D. Allerdings bestimmt mit Versicherungskennzeichen und für normale Fahrräder gesperrt.
    Es ist ja nicht so, dass an der goldenen Ananas nicht noch verdient werden könnte.
    Das sieht man ja an den Anstrengungen überall im Land touristische Holperwege anzulegen, die für Alltagsradfahrer völlig untauglich sind. Die Tourismusindustrie lässt grüßen.
    Aber mehr als gute Gegenöffentlichkeit herzustellen und Notwehr gegenüber aggressiven BMW-fahrern auszuüben fällt mir auch nicht ein.
    p.s. schöner blog !

  3. Ja, die Zustände sind weit entfernt von angemessen!
    Ich denke, um das zu ändern müssen „wir“ Fahrrad- und Elektroradfahrende offensiver auftreten. Alle denkbaren Argumente sind auf unserer Seite. Aber wenn kein Druck auf Politik und Mainstream-Medien aufgebaut wird, wird die Autolobby sich weiterhin eine goldene Nase verdienen und wir kriegen die goldene Ananas…

  4. Die Politiker haben doch kein Interesse an Pedelecfahrern. Die sitzen doch alle im Auto und können auch noch cheauffiert werden, wenn sie denn wollen. Eine Anfrage von W. Wimmer im Landtag, für reparatur der Radwege im Stadtgebiet Dormagen fiel negativ aus. Zitat aus meiner Antwortmail vom 22.11.11: “ der auch von Ihnen beschriebene schlechte Zustand der an Landstraßen war Anlass, dass Herr Wimmer nach der negativen Antwort auf seine Kleine Anfrage vom Oktober diesen Jahres Minister Harry Voigtsberger nochmals direkt angeschrieben (incl. aktueller Fotos) und um Einleitung von Sanierungsmaßnahmen gebeten hat. Leider ist die Rückantwort negativ ausgefallen.“ Ich fahre jetzt seit zwei Jahren mit dem Pedelec zur Arbeit, an den Feldwegen hat sich garnichts getan. Im Gegenteil. Es wird immer schlimmer, und überall wird nur noch gespart. An Menschen/Personal und Maschinen. Die Radwege sind nicht alle schlecht, aber die Löcher und Verwerfungen auf ihnen sind schon groß. Wenn man sich da in der Dunkelheit eine „Acht“ einfährt, wird auch noch gelacht! Ich hoffe, auch mit der Hilfe von diesem und anderen Foren, den Zustand vieler Radwege verbessern zu können.

  5. Genau. Es ist Zeit, dass sich (e)-FahrradfahrerInnen nicht mehr mit peanuts abspeisen lassen. Wir wollen eine gute und sichere Infrastruktur, um möglichst viele Leute aufs Rad zu bringen und unsere Städte damit schöner, gesünder und kommunikativer zu machen. Fahrradoffensive jetzt!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert