Artikel-Update 10/2014
Der GDV (Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft) stellt in einer (kleinen) Studie fest, dass E-Räder nicht gefährlicher sind, als normale Fahrräder:
„Der Vergleich von Fahrrädern und Elektrofahrrädern zeigte, dass Elektrofahrräder per se keinem erhöhten oder anders gelagertem Sicherheitsrisiko als Fahrräder unterliegen. Die potenziell höheren Geschwindigkeiten werden vor allem von S-Pedelec-Fahrern realisiert, während für Pedelec Fahrer der erhöhte Komfort im Mittelpunkt steht.“
Damit relativiert sich auch der etwas reißerische Aufmacher den GDV und ADAC 2011 lancierten (siehe folgender Artikel), Stand heute gibt es keine Belege, dass E-Räder ein erhöhtes Risiko im Verkehr bedeuten, weder für die Nutzenden noch für andere Verkehrsteilnhemende.
Originalartikel:
Man könnte meinen ja, sehr! In den letzten Wochen häufen sich jedenfalls derartige Einschätzungen und wir wollen uns hier mal ein paar Argumente dafür anschauen. So sieht der ADAC die wachsende Begeisterung für Pedelecs zwiespältig „Da kommt nun eine ganz andere Schicht von Menschen auf die Radwege“, wird Maximilian Maurer in einem sehr guten Zeit-Artikel zu Elektrofahrrädern zitiert. Weiter stellt der ADAC in dem Artikel fest:
Autofahrer seien nicht darauf eingestellt, Radfahrern zu begegnen, die Geschwindigkeiten erreichen und halten können, die ihnen bislang keiner zugetraut hätte. „Ob sich das zu einem Massenproblem entwickelt, muss man abwarten“, so Maurer. Bis zu Forderungen nach Führerschein oder Geschwindigkeitsbegrenzungen müssen man erst die Unfallzahlen abwarten.
In ein ähnliches Horn stößt Daniel Hautmann von der Süddeutschen Zeitung in einem Bericht über einen Crash Test mit E-Rädern den der GDV (Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft) im April durchführte. In seinem Artikel „Pfeilschnell ins Verderben“ wird messerscharf festgestellt:
Mit einem Pedelec sind 80-Kilometer-Ausfahrten kein Problem. „Werden mehr Kilometer gefahren, gibt es mehr Unfälle“.
Weiter beschreibt Hautmann bildreich und in nicht gerade sachlichem Ton die Folgen eines simulierten Dummy-Unfalls mit 44km/h seitlich gegen ein stehendes Auto:
Ungebremst kracht der Radler in die Seite des Wagens. Glas splittert, Blech verbeult, Knochen brechen. Zuerst prallen seine Knie gegen die Tür, Sekundenbruchteile später klatscht sein Brustkorb gegen die Kante des Dachs. Schließlich schlägt der Radler mit dem Kopf auf der Frontscheibe auf und bleibt liegen.
Soso, liegen bleiben tut der Crashtest-Dummy also. Man könnte erwidern: „Etwas anderes hätte von einer Puppe auch sehr überrascht.“ Aber wir wollten ja die Argumente anschauen…
Also, kurz zusammen gefasst, Pedelecs/E-Räder sind gefährliclh weil:
- neue Schichten von Menschen aufs Rad kommen, die vorher nicht Rad fuhren (ADAC)
- man bei einem Aufprall auf einem Auto bei über 40km/h mit einem E-Rad schwere Verletzungen von sich trägt (GDV, Süddeutsche Zeitung)
- man mit dem E-Rad leicht längere Strecken fahren kann als mit einem normalen Fahrrad (ADAC)
- Autofahrer Schwierigkeiten haben, die Geschwindigkeiten der Radler richtig einzuschätzen (ADAC)
Der GDV fordert demzufolge für Pedelecs neue Versicherungspflichten und wir gehen mal die Argumente durch.
Argument Nummer 1: neue Menschen die aufs Rad kommen. Nun, wir sollten hoffen, dass E-Räder neue Leute aufs Zweirad bringen, statt mit dem Auto zu fahren. Klima, Lärm, Flächenverbrauch und Unfallstatistiken von Pkw sind Grund genug. Der eine oder die andere unsichere Radler_in mag dabei sein. Trotzdem: Weniger Autos und mehr E-Räder werden den Verkehr insgesamt weniger gefährlich machen.
Argument Nummer 2: Bei über 40km/h ist das Risiko sich schwer zu verletzen tatsächlich hoch. Ein Helm kann helfen, aber es ist eine Tatsache, dass diese Geschwindigkeiten gefährlich sind. Das zeigen Unfallstatistiken von Motorrädern und Pkw eindrücklich. Nur: über 95% der E-Räder unterstützen bis maximal 25km/h, eine Geschwindigkeit, die ein normaler Radler gut erreichen kann. Schnelle E-Räder bis maximal 45km/h sind die Ausnahme und für sie gilt bereits Versicherungspflicht(!).
Argument Nummer 3: Sachlich richtig. Wenn der ADAC das schon sagt, wäre es konsequent auch zu erwähnen, dass das auch für Autobahnen ohne Geschwindigkeitsbegrenzungen gilt. Es können größere Strecken zurück gelegt werden. Dadurch steigt das Unfallrisiko. Am besten wäre dann, die Kilometerleistung eines jeden zu minimieren: Alle Menschen gehen zu Fuß oder bleiben zu Hause. Warum eigentlich nicht?
Argument Nummer 4: Wie gesagt, über 95% der E-Räder fahren nicht schneller, als reguläre Räder. Wir im Hafen sind außerdem sicher, Autofahrer können sich auch an etwas schnellere Räder gewöhnen. Vor allem, wenn dafür weniger Autos in der Schlange an der Ampel warten.
FAZIT: Argumente 1 und 3 sind derart banal, dass es überrascht, dass sie von einem renommierten ADACler bzw. einer großen Tageszeitung stammen. Nummer 2 und 4 benennen dagegen das Problem hoher Geschwindigkeiten, dass wenn überhaupt auf unter 5% der Elektrofahrräder (die so genannten S-Pedelecs) zu trifft. Allerdings stimmt es ohne Zweifel, dass Entschleunigen des Verkehrs Sicherheit bringt. Interessant ist, dass der GDV eine Versicherungspflicht für Räder fordert, für die bereits eine besteht.
Es ist also eine Diskussion mit ziemlich leeren Argumenten und man wird den Eindruck nicht los, dass sie bewusst angefacht wurde. Angefacht von einer Koalition aus Autolobby, Versicherungsindustrie und Sensations hungrigen Journalisten, die Angst haben vor einem „Massentrend Elektrofahrräder“.
Ziel der ersten beiden*: Elektroradfahren und auch Radfahren allgemein soll gefährlich wirken. Denn was als gefährlich gilt, wird von der breiten Bevölkerung nicht angenommen. Und bei allem Respekt für die Öffnung des ADAC in Richtung Radverkehr: Der ADAC will nicht, dass massenweise Menschen radeln, statt Auto zu fahren. Und auch der GDV wird mit Autoversicherungen mehr Geld verdienen, als er jemals mit Versicherungen für (E)-Räder verdienen kann.
In diesem Sinne erinnert die Diskussion sehr an die, die ich im Hafen bzgl. der Helmfrage vor einigen Wochen dargestellt habe. Übrigens was man als einzelne_r für die eigene Sicherheit beim Elektrofahrrad fahren tun, kann habe ich hier schon mal zusammen gefasst.
* Warum Journalisten so schlechte Argumentationen unkommentiert übernehmen, weiß ich nicht, es ist aber eine spannende Frage.
Is ja gut… 😉
Mir auch klar, dass keiner von uns König von Deutschland ist. Auf jeden Fall besser mehr E-Bikes und hoffentlich dadurch weniger Autos. Und der Strom kommt ja aus der Steckdose, gell?
Wir werden sehen, wie sich das entwickelt.
Da fällt mir ein, dass mir gestern tatsächlich eines der hier bisher raren E-Bikes entgegen kam. Und ich mich noch wunderte, warum die Dame trotz ihrer undynamischen Fahrweise so flott war… bis ich den Akku unterm Gepäckträger entdeckte.
Ich mach auch mit, sobald ich die 80 erreicht habe. 🙂
Hey Ulrike,
die Dinger werden gerade sehr stark nach gefragt. Dazu musst Du nur hier im Blog lesen. Dass die Akkus „nicht gerade lang halten“, das ist so eine Aussage, da kann man jetzt nicht viel zu sagen.
Und dass Du das „viel besser findest, wenn Leute auf stinknormale Räder umsteigen“ ist ja schön, ich fänd das auch sehr gut. Aber man kann von den Leuten nicht erwarten, dass sie Dinge tun, weil Du und ich es gut finden würden. Sonst würde ich spontan noch mal ein paar Dinge ansagen, die „ich viel besser finden würde“, dann wär‘ Schluss mit Riesen-Geländekarren, Menschen die mit dem Flugzeug Berlin Bonn pendeln und vieles mehr.
Da fällt einem Rio Reiser ein: König von Deutschland….
„Mit einem Pedelec sind 80-Kilometer-Ausfahrten kein Problem.“
Schafft man auch ohne Pedelec…
Ich bin jedenfalls mal gespannt, ob die Dinger wirklich so nachgefragt werden wie z. Z. Werbung gemacht wird. Sie sind viel schwerer als normale Räder, also wird sie keiner aus dem Keller wuppen wollen – ist schon blöd beim normalen Stahlrad – und die Akkus halten auch nicht gerade lang.
Außerdem fänd ich das viel besser, wenn mehr Leute erstmal auf stinknormale Räder umsteigen und in ihren Alltag integrieren würden.
Hey Bike Blogger,
Du hast Recht, 45km/h sind eine Geschwindigkeit bei der keine Fehler passieren dürfen. In der Stadt würde ich das niemandem als Normal-Geschwindigkeit raten. Nicht umsonst ist Tempo30 für Autos eine alte und richtige Forderung. Es wäre schon etwas paradox zeitgleich Tempo45 mit dem Rad zu fahren, auch wenn Räder leichter sind.
Crashtests mit Pkw werden im Übrigen bei Tempo50 (seitlich) und Tempo 64 frontal auf einen Betonblock gemacht
(de.wikipedia.org/wiki/Crashtest), wer sich die Autos da mal anschaut, kann sich denken, wie ein Radler nach so was aussehen aussehen würde.
Aber eins sollte man auch nicht vergessen, S-Pedelecs dürfen(!) zwar bis 45km/h unterstützen, meist regeln sie aber ab ca. 33km/h schrittweise ab.
Wenn man nicht gerade das Grace fährt 🙂
Hallo Wasilis,
deiner Einschätzung stimme ich weitgehend zu. Zu einem ähnlichen Fazit bin ich bereits in meinem Artikel auf BikeBlogBerlin gekommen.
Zwei Dinge sollte man dabei aber nicht übersehen: Schnelle Pedelecs (ich rede jetzt tatsächlich nur von diesen) stellen den Fahrer/die Fahrerin vor eine neue Herausforderung. Ein Fahrrad mit 45 km/h im Straßenverkehr zu beherrschen halte ich für nicht ganz einfach (ich fahre diese Geschwindigkeit selber ab und zu mit dem Rennrad, kann es also aus dieser Sicht beurteilen). Dies sollte stärker thematisiert – und die Fahrer entsprechend geschult werden. Ich habe S-Pedelecs bisher nicht in diesem Geschwindigkeitsbereich testen können, weiß aber, dass eine Vollbremsung eines Fahrrades bei einer solchen Geschwindigkeit nicht einfach ist. Zwar lässt sich der Bremsweg durch gute (hydraulische) Scheibenbremsen minimieren, die Gefahr eine Überschlags oder Sturzes durch Wegrutschen lässt sich nur durch eine gewisse manuelle Geschicklichkeit minimieren. Darüberhinaus stellen sich bei solchen Geschwindigkeiten auch erhöhte Anforderungen an die Aufmerksamkeit und Reaktionsfähigkeit des Fahrers (Beispiele: Unachtsamkeit anderer Verkehrsteilnehmer, Schienen, Schlaglöcher etc.).
In der Verantwortung sehe ich hier vor allem Industrie und Verbände: beim Verkauf eines S-Pedelec sollte eine entsprechende Schulung angeboten werden. Ich rede nicht von Pflicht, sondern von Verantwortung gegenüber Kunden, die sich möglicherweise gar nicht bewusst sind, dass sich diese Fahrzeuge anders verhalten als das alte Damenrad, das bisher im Keller stand.
Natürlich sind (und bleiben?) S-Pedelecs ein Nischenprodukt, dennoch sollte hier nicht abgewartet werden, bis die Statistiken mögliche Probleme aufzeigen.
In Bezug auf „normale“ Pedelecs gelten aus meiner Sicht ähnliche Anforderungen wie auch beim „normalen“ Fahrrad. Ein unsicherer Fahrer gefährdet sich und Andere. Es gibt keine Führerscheinpflicht, die Kenntnisse, die ggf. von der Fahrschule übrig sind, sind häufig veraltet oder in Bezug auf das Verhalten als Radfahrer untauglich.
Auch hier sehe ich einen erhöhten Schulungsbedarf, vor allem für ältere Fahrer. Dies greift z.B. der ADFC Berlin durch seine Radfahrkurse für Senioren auf.
Grundsätzlich teile ich jedoch deine Einschätzung, dass sich die Sicherheit auf den Straßen vor allem dadurch erhöhen wird, dass Verkehrsteilnehmer vom Auto auf das Fahrrad (egal ob elektrisch unterstützt oder nicht) umsteigen.
Gruß, Andreas